Kunst auf der LGS Gießen

Im Rahmen des Wettbewerbs für Kunst auf der LGS Gießen 2014 wurden bereits im September 2013 in einem zweistufigen Verfahren sechs ortsspezifische Kunstprojekte ausgewählt.

Nach der Konkretisierungs- und Detailabstimmungsphase steht fest, dass alle jurierten Kunstprojekte zur Umsetzung kommen werden.

Die national wie international agierenden Positionen, die vom 26. April bis 06. Oktober 2014 im Gießener Stadtraum zu erleben sein werden, repräsentieren ein breites Spektrum aktuellen Kunstschaffens, das sich in unterschiedlichen temporären Installationen zeigen wird.

Kunst auf der LGS Gießen

Auf einen inhaltlich lenkenden Titel wurde in der Ausschreibung gezielt verzichtet. Demzufolge befragen die jurierten Projekte in ihren Themen und Ausprägungen sehr unterschiedlich das Verhältnis von Mensch und Natur und setzen sich vielfältig mit dem Ideenraum Stadt und Garten auseinander:

  • Skulpturale Setzungen und Interventionen,
  • Licht und Klang,
  • Kontext städtischer Planungen,
  • Gartenthematik im Radioformat,
  • Ganz eigenes künstlerisches Biotop

Durch die Arbeiten wird ein Bogen von der Lahn bis zum Areal der Wieseckaue gespannt und räumlich durch die Klammer zweier Projekte eingefasst, die auf die ästhetische Kraft von Baum-Solitären setzen.

Was zu sehen ist, bleibt nur auf Zeit – die Kunst verschwindet mit Ablauf der Gartenschau, arbeitet aber mit dem Echo eindrücklicher Erinnerungs- und Klangbilder.

Bridge over troubled water

„In Gießen fehlt ganz grundlegend eine Brücke“, diese Feststellung machte das Künstlerduo Folke Köbberling und Martin Kaltwasser aus Berlin im Rahmen ihrer Vorfeld-Recherchen.

Im städtischen Rahmenplan für das Gartenschaugebiet war im Mündungsbereich der Wieseck in die Lahn vorgesehen, eine querende Fußgänger- und Radfahrerbrücke zu errichten.

Diese sollte eine bedeutende Lücke im Wegenetz parallel zur Lahn schließen: aus Kostengründen wurde von einer Umsetzung der Planungen jedoch abgesehen.

Dieser Umstand wird nun durch das Projekt inhaltlich aufgegriffen und durch eine künstlerische Setzung materialisiert.

Mit kleinem Budget errichtet, kann diese Brücke wenigstens temporär während der Gartenschau die beiden Ufer verbinden und damit ein visonär-künstlerisches „Es geht doch!“ platzieren.

Der konkreten Bauphase vorausgegangen ist ein Prozess der Abwägung von Machbarkeiten und verschiedener Brücken-Varianten: Baukonstruktive, materialbedingte, Hochwasser- und Umweltschutzfragen mussten in den Blick genommen werden.

Die nun erstellte Brücke aus Gerüstbauelementen, hinleitenden Auffahrten und Beschilderungen wurde während einer mehrtägigen Baustelle auf der Lahnwiese von den Künstlern und Gießener Helfern errichtet.

Neben der Realität einer Querungsmöglichkeit auf Zeit erzählt die Brücke von Planungen, Utopien und dem Stadtraum als Möglichkeitsraum.

Pflanzenhörer ima 3

Auf einer freien Wiesenfläche in Lahnnähe steht eine filigrane und langbeinige Holzkonstruktion von Axel Schweppe aus Köln, die mit ihrer weißen Lamellenverschalung formale Assoziationen an eine Wettermessstation aufruft.

Dem Grundriss nach an eine sechsstrahlige Blüte angelehnt, ist die Funktion dieses Gebildes rätselhaft: bleibt doch der Blick in die auf die Spitze gestellten, nach oben offenen Pyramiden verwehrt.

Aufgrund ihrer hohen Anbringung lässt sich nicht erkennen, was im Inneren geschieht. Tritt man jedoch an die Skulptur heran, werden je nach Wetterlage unterschiedliche Töne hörbar.

Schweppe, Klang- und Installationskünstler, hat für Gießen eine Skulptur entwickelt, die empfindlich auf Witterung reagiert.

Ihre pyramidenförmigen Trichter sind so konstruiert, dass sie die Elemente des Wetters empfangen, diese umwandeln und unterschiedliche Klänge aussenden. Sonne, Regen und Wind musizieren – sanft und unaufdringlich aber in unmittelbarer Nähe deutlich vernehmbar.

Der Gießener Pflanzenhörer ima 3 wird vom Künstler als prozessuales Projekt verstanden, welches mit der Setzung der Klangskulptur nicht abgeschlossen ist und durch Kooperationen inhaltlich weiterzuentwickeln ist.

Dialoge mit Wissenschaftlern oder Musikern vor Ort sowie partizipative Formate und Workshops sind integrativer Teil der Arbeit.

2200 K

Die Installation von Monika Goetz aus Berlin setzt auf die ästhetische Kraft einer über 150 Jahre alten, kräftigen Eiche, die auf wundersame Weise mitten im Gewässer auf einer kleinen Lahninsel platziert ist.

Ende der 1970er Jahre durch die Umleitung des Flusses vom Festland abgehängt, steht der kapitale Baum nun auf einem winzigen Eiland und besticht durch seine solitäre Größe, Schönheit und Aura.

Diese natürliche Strahlkraft wird von der Künstlerin aufgegriffen und unterstrichen, indem sie dem Baum einen schlichten, aber eindrücklichen Nimbus verleiht.

Mit der hereinbrechenden Dämmerung strahlt ein Lichtring hell in die Nacht und scheint frei über der Baumkrone zu schweben. Tagsüber zeigt er erloschen seine tragende, profane Stahlkonstruktion.

Der Heiligenschein, das angestammte Symbol der Erleuchteten, Heiligen oder Götter, wird aus dem kulturhistorisch vertrauten Sakralraum herausgelöst – er krönt und würdigt nun ein wesenhaftes Stück Natur.

Mit dieser Lichterscheinung, die während der Laufzeit der Landesgartenschau eine markante, eigentümliche aber auch poetische Setzung an der Lahn sein wird, stellt sich auch die generelle Frage, in welchem Verhältnis wir zur Natur stehen, deren Ausbeutung und Nutzbarmachung stetig von der Menschheit vorangetrieben wird.

Gießener Biozön

Mit seinem Beitrag zum Kunstwettbewerb der Landesgartenschau Gießener Biozön – Norbert und seine Kumpane schafft Andreas Rohrbach aus Frankfurt einen geschützten Lebensraum für seine kreatürlich anmutenden Schöpfungen.

Statt Zierpflanzen oder Gemüse, die zu kultivieren oder vor schädlichen Wettereinflüssen zu bewahren sind, verdichtet sich im Treibhaus eine mannigfaltige Skulpturenschar zu einer biotophaften Situation.

Um den Protagonisten Nobert, eine dralle, farbig gefasste Marmorskulptur, tummeln sich biomorphe Körper aus Wolle, Glas, Peddigrohr oder Stein, die an Pilze, Schwämme, Korallen, Eiablagen oder Getier aus dunklen Meerestiefen erinnern.

Im lichtdurchfluteten Gehäuse treten sie, eingerahmt von in Marmor gehauenen Wiesenstücken, in Beziehung zueinander.

Das Glashaus umkreisend zeigt sich dem Betrachter ein Ausschnitt aus dem Kosmos eines Künstlers, der Steinbearbeitung, Häkeln, Glasblasen oder Peddigrohr-Flechten als gleichberechtigte bildhauerische Techniken praktiziert.

Es entsteht ein Garten im Garten, der die Frage aufwirft, wer durch die Glasscheiben vor wem zu schützen ist – eine empfindliche Biozönose vor uns oder wir vor einem Ökosystem, dessen Ungefährlichkeit dem Augenschein nach nicht versichert werden kann?

100 Tage Datscharadio

Datscharadio von Gabi Schaffner und Pit Schultz aus Berlin recherchiert und sendet 100 Tage lang auf dem Gelände der Landesgartenschau zum Phänomen der deutschen Gartenkultur. Als Forschungs- und Sendestation dient ein umfunktionierter Caravan mit VEB-Charme.

Anliegen der künstlerischen Forschungsmission ist es, lokale Traditionen und Perspektiven des Gärtnerns zu erkunden und dabei unterschiedliche Dokumentationsformen einzusetzen.

In Zusammenarbeit mit anderen Künstlern und Gästen entsteht so ein öffentliches Archiv von Feldnotizen, Protokollen, Gesprächen, O-Tönen und Pflanzenfotografien.

Auch Mitschnitte der begleitenden Konzerte und Lesungen sowie der gemeinsamen Essen oder Expeditionen ins Umland speisen sich ein.

Statt diese Vielzahl an erhobenen Daten zu wissenschaftlicher Erkenntnis zu verarbeiten, fließen sie ungefiltert in einen 100tägigen Radio-Stream.

Ein sogenannter Audiokomposter zersetzt das Material zu einer sich kontinuierlich wandelnden Klanglandschaft. Der Prozess dieses Kompostierens verfügbaren Wissens findet seine poetische Entgegnung im wilden Wachstum der Pflanzen rund um die Caravan-Radiostation.

Datscharadios Forschungsauftrag schließt mit einem zweitägigen Festival zur Zukunft der Gartenkultur im 21. Jahrhundert. Folgen Sie dem Stand der Forschungen auf dem Blog des Projekts, über Webstream oder direkt vor Ort auf UKW.

Baumhaus

Das zweite Projekt im Rahmen des Kunstwettbewerbs, das einen Baum ins Zentrum setzt, hebt eine etwa sieben Meter hohe Platane auf das Dach eines der Wohnhochhäuser in der Eichgärtenallee.

In unmittelbarer Nähe zum umzäunten Bereich der Landesgartenschau gelegen, gehört das zwölfstöckige Gebäude zu einer Gruppe von drei Hochhäusern aus den 1960er Jahren.

Umrahmt von großzügigen Grünflächen ist dieses Ensemble ein frühes Zeugnis der Verbindung von städtischem Lebens- und Naturraum in der Gießener Stadtplanung.

Der Projekttitel Baumhaus transportiert die romantische Vorstellung eines Lebens im Einklang mit der Natur. Durch die Versetzung des Baumes auf das Dach des Hauses kommt es zu einem Perspektivwechsel: das Wohnhaus wird zum Baumhaus.

Der Baukörper wird durch Wiebke Grösch und Frank Metzger aus Frankfurt Umnutzung zum Podest, das den Baum weithin sichtbar über den Stadtraum erhebt.

Temporär hat dieser Baum seinen Lebensbereich verlassen und kann, über den Dächern von Gießen stehend, vielfältig gelesen werden:

  • als Installation, die – mit großem Aufwand geschaffene – künstliche Naturräume in den Blick nimmt,
  • als „Deplatzierung„, die ästhetisches Vergnügen bereitet oder als Intervention, die über eine durch den Menschen aus dem Gleichgewicht gebrachte Natur reflektieren lässt.

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